Dieses Interview wurde vor Beginn des Krieges in der Ukraine aufgezeichnet.

Thies Eisele: Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von we.talk. Schön, dass Sie wieder zuschauen. An meiner Seite heute ganz Corona-konform Patrick Buchmann, der als CEO Forged Technologies führt. Hallo Herr Buchmann, schön, dass Sie bei uns sind.

Patrick Buchmann: Hallo Herr Eisele. Ich freue mich, heute hier zu sein.

Thies Eisele: Herr Buchmann, Sie sind seit Sommer 2021 CEO von Forged Technologies. Darum zum Einstieg vielleicht direkt eine persönliche Frage: Wie ist es Ihnen in den vergangenen Monaten ergangen? Wie haben Sie sie erlebt und womit beschäftigen Sie sich momentan am intensivsten?

Patrick Buchmann: Ich kannte beide Bereiche, also den automobilen Schmiedebereich und den Industriebereich ja schon aus meiner Zeit bei der damaligen Business Area Components Technology. Das hat sicher geholfen, um in die Themen reinzukommen. Ich war aber dennoch sehr erstaunt, wieviel sich seit der Integration der beiden Business Units in 2017 zu Forged Technologies getan hat. Daher also erstmal große Anerkennung, großes Lob an die Mannschaft für das Geleistete und Erreichte der letzten Jahre. Vom Team bin ich zum Start gut aufgenommen worden. Da hat sicher auch geholfen, dass ich eine ganze Reihe der Kolleginnen und Kollegen schon aus den früheren Tätigkeiten kannte. Ich habe aber geschafft, in der Zwischenzeit unsere Standorte in Deutschland, in Italien, in den USA und in Brasilien zu besuchen und dort die Teams vor Ort zu treffen. Und die weiteren Standorte in Mexiko, China und Indien sollen so bald wie möglich folgen. Für mich ist die persönliche Interaktion mit den Teams und der persönliche Eindruck, auch der direkte Eindruck der Gegebenheiten vor Ort unerlässlich, um das Geschäft zu verstehen, die aktuellen Herausforderungen und damit eben auch den gemeinsamen Weg für die Zukunft gestalten zu können. Das sind auch die Themen, die uns im Team gerade am meisten beschäftigen. Zum einen das Bewältigen der aktuellen Herausforderungen im gerade sehr schwer berechenbaren und sehr volatilen Marktumfeld, die weitere Verbesserung unserer Profitabilität, um dem Kostendruck entgegenzuwirken und dann mittel- bis langfristig die Anpassung unseres Produktportfolios an die sich verändernden Markterfordernisse. Da als Stichwort der Technologiewandel im Antrieb von Fahrzeugen hinzu Elektromobilität.

Thies Eisele: Für viele im thyssenkrupp Kosmos ist Forged Technologies eher unbekanntes Territorium. Nicht jedem ist klar, was Forged so leistet und so macht. Möchten Sie uns da vielleicht einen kleinen Einblick geben?

Patrick Buchmann: Natürlich, gerne. Mit Forged Technologies sind wir Weltmarktführer im Bereich des Schmiedens von Stahl. Unsere Kunden sind alle großen Hersteller von LKW, PKW, genauso wie die führenden Anbieter von Baumaschinen und Bergbaumaschinen. Wir fertigen für sie qualitativ hochwertige und einsatzkritische Komponenten und Systeme, die eben in Motoren, in Fahrwerken und in Kettenfahrwerken zum Einsatz kommen. Und das Ganze schon seit mehr als hundert Jahren. Da gibt es eine Menge Tradition in beiden Bereichen. Mit rund 6400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir an 15 Standorten im vergangenen Geschäftsjahr rund 1,2 Milliarden Umsatz erwirtschaftet. Weltweit betreiben wir mehr als 50 Schmiedelinien, mehr als 200 Bearbeitungs- und Montagelinien und viele davon sind hochautomatisiert. 90% unserer Mitarbeitenden sind außerhalb von Deutschland tätig. Mit dem internationalen Netzwerk, das wir haben, und mit dem großen Maschinenpark sind wir einzigartig in der Industrie und dazu kommt, dass wir mit dem gemeinsamen Knowhow sowohl aus dem Automobilbereich, als auch dem Industriebereich uns leichter neue Märkte erschließen können. Und dabei hilft das Vertrauen aus den langjährigen Kundenbeziehungen eben dabei, auch in neue Produktfelder einzutreten.

Thies Eisele: Wenn man sich näher mit Forged Technologies beschäftigt, fällt dann doch auf, dass Sie ein ziemlich breites Produktportfolio haben. Möchten Sie da vielleicht noch ein bisschen ins Detail gehen?

Patrick Buchmann: Gerne. Im Automobilbereich beliefern wir unsere Kunden, und das sind Daimler, Volvo, DAF, BMW, VW oder auch Cummins - um nur einige Namen zu nennen - mit bearbeiteten oder mit geschmiedeten und bearbeiteten Komponenten für Motoren, für Getriebe und auch andere Anwendungen. Also gerade neu dazugekommen sind vor allem Fahrwerkskomponenten für LKW. Diese Komponenten, also unsere Produkte, stehen im Einsatz unter enormer Beanspruchung, wie man sich vorstellen kann. Und deshalb müssen die auch höchsten Anforderungen an Qualität, aber auch an Belastbarkeit, genügen. Und um die zu erzeugen, braucht es besondere Produktionsanlagen. Wenn man als Beispiel eines unserer Kernprodukte nimmt, die Kurbelwelle, also eine Kurbelwelle für PKW, dann brauchen wir für die Erzeugung Schmiedelinien mit einer Presskraft von 4000 bis 8000 Tonnen. Also an die Größenordnung muss man sich erstmal gewöhnen.

Wenn wir dann über die größeren Kurbelwellen für LKW nachdenken, die sind dann auch deutlich größer und wiegen bis zu 100 Kilo, dann brauchen wir sogar Schmiedelinien mit einer Presskraft bis hin zu 16000 Tonnen. Und ähnliche oder genau solche Schmiedelinien brauchen wir eben auch für die neuen Produkte, für die Vorderachsen für LKW, die ähnliche Dimensionen haben.

Im Industriebereich fertigen wir Komponenten für Kettenfahrwerke oder eben auch komplette Fahrwerke. Und die kommen vor allem bei Baggern und Raupen, in der Bauindustrie, im Bergbau, aber auch in der Landwirtschaft zum Einsatz. Also Fahrwerke kommen in großen Maschinen zum Einsatz, die bis zu mehreren 100 Tonnen wiegen. Und wenn man sich jetzt so einen Bergbaubagger vorstellt, dann hat der ein Kettenfahrwerk von uns, was alleine eine Höhe von ungefähr zweieinhalb Meter hat. Das sind enorme Dimensionen, die unsere Produkte haben.

Thies Eisele: Themenbereich individuelle Anforderungen von Kunden. Die Automobilbranche, wie die Industrie insgesamt, ist in einem großen Umbruch begriffen, vor allen Dingen getrieben von der Transformation hin zu Elektromobilität. Wie beeinflusst das Ihr Geschäft bei Forged? Und wie sind Sie auf diese Veränderungen eingestellt?

Patrick Buchmann: Das ist richtig. Die Automobilindustrie wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten enorm verändern und gerade im Antriebsbereich werden sich auch dort die Konzepte eben zur Reduzierung oder kompletten Vermeidung von CO2 komplett wandeln. Man kann davon ausgehen, dass bis 2030 jedes dritte Fahrzeug, das weltweit produziert wird, einen batterieelektrischen Antrieb haben wird. Und dazu kommt dann noch mal ungefähr ein Drittel aller weltweit produzierten Fahrzeuge mit Hybridantrieb, sprich die einen konventionellen Motor, aber eben auch einen Elektromotor haben. Auch wenn damit noch gut jedes zweite Fahrzeug mit einer Kurbelwelle ausgestattet sein wird, werden wir natürlich einen deutlichen Einfluss auf unsere Märkte für Motorenkomponente spüren. Und in Europa gehen wir davon aus, dass diese Entwicklung noch deutlich schneller vonstattengeht. Wenn wir jetzt in den LKW Bereich schauen, wird das sicher etwas länger dauern. Aber auch da geht der Trend ganz klar in Richtung Batterie, Elektrik und Brennstoffzelle. Darüber hinaus werden weitere Antriebskonzepte wie zum Beispiel der Wasserstoffmotor untersucht. Aber auch hier gehen wir davon aus, dass bis 2030 bereits jeder fünfte Lkw einen elektrischen Antrieb mit Batterie oder Brennstoffzelle haben wird. Und auch hier wird die Entwicklung in Europa sicher schneller erfolgen als in anderen Regionen. Für uns bedeutet das, dass wir die Weichen schon heute stellen müssen, um unser Produktportfolio anzupassen und die Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor zu reduzieren. Wir haben damit auch schon begonnen. Wir haben gerade in die weltweit größte und modernste Schmiede und Bearbeitungslinie für LKW-Vorderachsen investiert. Dort am Standort werden wir damit in der Lage sein, den wegfallenden Umsatz, also den Umsatzrückgang, im Bereich der PKW-Motorenkomponenten komplett zu kompensieren. Und wir haben bereits Projekte für weitere Fahrwerkskomponenten laufen, um eben auch in dem Bereich zu wachsen. Darüber hinaus sehen wir großes Wachstumspotenzial im Bereich der Kettenfahrwerke, also bei Berco, was komplett unabhängig vom Verbrennungsmotor ist. Dort wollen wir weltweit unsere Marktanteile deutlich ausbauen und zwar im Erstausrüstungsgeschäft für die großen Hersteller wie Liebherr oder John Deere, aber eben auch im Ersatzteilgeschäft, das bislang nicht so stark im Fokus stand.

Thies Eisele: Über die Grenzen von Forged hinaus mal betrachtet, welchen Beitrag leistet Forged Technologies zur Gesamtperformance von thyssenkrupp?

Patrick Buchmann: Forged Technologies ist ja noch recht jung. Wir haben über die Integration in 2017 der beiden Bereiche gesprochen und seitdem ist die Performance deutlich gesteigert worden. Allein die Einführung von automobilen Prozessen und Standards hat zu deutlichen Leistungssteigerung bei Berco geführt und gerade am Produktionsstandort in Copparo haben wir tiefgreifende Veränderungen vorgenommen im Fertigungslayout, in den Prozess. So kann man sagen, dass Berco heute deutlich effizienter und profitabler aufgestellt ist. Wir sind also da schon einen guten Schritt weitergekommen, aber sicher noch nicht am Ziel. Und das gilt nicht nur für Berco. Das gilt auch für den Automobilbereich. Auch dort wollen wir uns weiter verbessern. Und genau mit dieser Performance Orientierung haben wir es auch geschafft, in all unseren Kernmärkten in den vergangenen Jahren führende Position einzunehmen. Wir haben also über die ganzen letzten Jahre kontinuierlich die Marge steigern können und somit mit EBIT und Cash verlässlich zum Ergebnis der Gruppe beitragen können. Und wenn wir nach vorne schauen, wollen wir uns auch dort aktiv den Herausforderungen stellen. Ich habe gesagt, wir wollen die Transformation aus eigener Kraft schaffen und damit weiter verlässlich zum Erfolg der Gruppe beitragen.

Thies Eisele: Wo sehen Sie andererseits Vorteile für Forged Technologies, Teil einer Group of Companies zu sein?

Patrick Buchmann: Ich denke ganz klar wie viele andere auch steht da zuerst die starke Marke thyssenkrupp. Die Marke ist ein Leistungsversprechen und schafft Vertrauen bei unseren Kunden. Sie steht für Leistungsfähigkeit, für Technologieführerschaft, für Qualität. Und das sind auch genau die Attribute, die für uns bei Forged Technologies ganz vorne stehen. Das passt also sehr gut zu uns. Darüber hinaus erhöht natürlich die Zugehörigkeit zu thyssenkrupp die Attraktivität für unsere Mitarbeitenden, für die heutigen, aber auch für die zukünftigen. Das Ganze hat hohes Identifikationspotential, aber ermöglicht auch jedem einzelnen Mitarbeiter eine persönliche Weiterentwicklung, die eben über den eigenen Bereich hinausgeht, genauso wie den Austausch mit Kollegen außerhalb des eigenen Geschäfts. Es ist für mich überhaupt ein großer Vorteil der Zugehörigkeit zu thyssenkrupp, weil es uns die Zusammenarbeit auch mit anderen Business Units und Segmenten dort ermöglicht, wo wir gemeinsam besser werden können oder auch Kosten senken. Wir fühlen uns also insgesamt gut in der Gruppe of Companies aufgehoben. Und ich muss auch sagen, dass thyssenkrupp uns in den letzten Jahren bei den erforderlichen Investitionen zum Start der Transformation unterstützt hat. Wir haben vorhin über die neue Schmiedelinie in Homburg gesprochen. Und auch mit Blick nach vorne wird unser Weg unterstützt. Wir arbeiten eng abgestimmt an der Umsetzung von Entwicklungsoptionen zur Reduzierung der Abhängigkeit von Verbrennungsmotoren, zum Erschließen neuer Produktfelder.

Thies Eisele: Bei allem, was da so im Schwange ist: Wie ist die Stimmung bei den Kolleginnen und Kollegen bei Ihnen und was können wir für die Zukunft von Forged noch erwarten?

Patrick Buchmann: Gut, wir haben über die aktuellen Herausforderungen gesprochen. Wir haben über die Elektromobilität und die Auswirkungen auf unsere Märkte gesprochen. Da ist sicher einiges dabei, was die Stimmung trüben könnte oder eben auch für Verunsicherung sorgen. Aber das, was ich in den letzten Monaten bei Forged Technologies erlebt habe, ist anders. Natürlich sehen auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Herausforderungen und nehmen die durchaus ernst. Ich habe auch viel Einsatzwillen, viel Kampfgeist, viel Veränderungsbereitschaft erlebt und das ist natürlich genau das, was wir nach vorne brauchen. Also basierend darauf und auf unseren Kundenbeziehungen, auf unseren besonderen Stärken im Engineering und in der Produktion können wir uns neue Produktfelder erschließen und können aktiv die Transformation gestalten. Und ich bin ganz sicher, mit der Leidenschaft und mit dem Einsatz unserer Mitarbeitenden wird uns auch das gelingen. Wir können also zusammen sehr zuversichtlich in die Zukunft schauen.

Thies Eisele: Vielen lieben Dank, Herr Buchmann, für diese schönen Abschlussworte und für die gelungenen interessanten Einblicke in Forged Technologies und Ihr Geschäft. Ich denke, wir haben alle was gelernt heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bleiben weiter für Sie am Ball, also bleiben Sie gespannt, bleiben Sie uns gewogen und bleiben Sie gesund. Bis zum nächsten Mal bei we.talk. Auf Wiedersehen und alles Gute.