Herr Professor Russwurm, die Aufsichtsratssitzung heute war bei vielen mit großen Erwartungen verbunden, zu Recht?

Russwurm: Diese zusätzliche Aufsichtsratssitzung war schon lange geplant und bereits im Herbst letzten Jahres terminiert. Wir alle standen damals unter dem Eindruck, dass Deutschland und Europa in eine schwere Rezession abrutschen könnten. Zu dem Zeitpunkt war vollkommen unklar, wie groß die Herausforderungen für thyssenkrupp werden oder wie lange sie anhalten würden.

Deshalb hatten wir entschieden, nach der Sitzung des Aufsichtsrats im November und vor der Sitzung im kommenden Mai einen weiteren Haltepunkt einzuziehen, um uns die Entwicklung anzuschauen und uns vom Vorstand einen aktualisierten Zwischenstand geben zu lassen.

Insofern war es das Ziel der heutigen Sitzung, bereits getroffene Richtungsentscheidungen im Idealfall zu bestätigen und uns zu vergewissern, dass wir nach wie vor auf dem richtigen Weg sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

…und das haben Sie getan?

Russwurm: Genau. In der Tat sehen wir inzwischen etwas klarer: Den Winter haben wir ohne Gasmangellage überstanden und die Wirtschaft nimmt langsam etwas Fahrt auf. Deshalb kann das Unternehmen jetzt weiter konsequent an die offenen strategischen Themen herangehen. Das heißt, in diesem nun wieder stabileren Umfeld kann und muss alle Konzentration wieder auf den Umbau von thyssenkrupp gerichtet werden.

Also keine echten Neuigkeiten nach der heutigen Sitzung?

Russwurm: Beschlüsse mit neuer Ausrichtung hat es nicht gegeben, das war aber auch nicht das Ziel.

Das Unternehmen lässt sich nicht zu zweitbesten Lösungen treiben. Das andere ist: Das Unternehmen muss vorankommen.

Siegfried Russwurm
Vorsitzender des Aufsichtsrats der thyssenkrupp AG

Frau Merz, was heißt das für die Arbeit des Vorstands und was sind die nächsten Schritte?

Merz: Zunächst einmal heißt das, dass wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Wir wollen, dass alle thyssenkrupp Unternehmen ihre jeweilige Strategie bestmöglich umsetzen. Dazu muss das jeweilige Unternehmen beitragen und die Performance auf das Niveau seiner Top-Wettbewerber bringen. Wir geben den Geschäften die unternehmerische Freiheit, die es dafür braucht…

…geht es etwas konkreter?

Merz: In den vergangenen Monaten haben wir mit den Führungsteams intensiv daran gearbeitet, alle Geschäfte auf Zukunftstechnologien und die sich bietenden Chancen der Transformation vorzubereiten. Jetzt geht es darum, sicherzustellen, dass sie diese Chancen auch nutzen können. In der Umsetzung wird das geschäftsspezifisch ganz unterschiedlich aussehen – sowohl inhaltlich als auch zeitlich.

Das gilt auch für den Stahl? Das Thema der Verselbstständigung des Stahlgeschäfts hat in den letzten Wochen ja wieder einmal für einige Aufmerksamkeit gesorgt.

Merz: Natürlich gilt das auch für den Stahl. Wir haben immer gesagt, dass eine eigenständige Aufstellung dem Stahl bestmögliche Zukunftsperspektiven bietet. Das gilt unverändert. Und deshalb setzen wir auch diesen Weg weiter fort.

Eine wichtige Grundvoraussetzung für eine eigenständige Aufstellung des Stahls ist der Einstieg in die grüne Transformation. Dafür haben wir mit der Auftragsvergabe für die Direktreduktionsanlage in Duisburg bereits eine entscheidende Weiche gestellt. Gemäß unserem Verständnis als „aktiver Eigentümer“ ist das eine gezielte Investition in die bestmögliche Weiterentwicklung.

Schritt für Schritt arbeiten wir jetzt an weiteren Voraussetzungen für eine finanzierungsfähige Aufstellung des Stahls.

Was braucht es dafür?

Merz: Neben dem Einstieg in die grüne Transformation ist das vor allem die aktuelle und künftige Performance für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Daran arbeitet der Stahlvorstand unter der Leitung von Bernhard Osburg. Wir erwarten im Mai eine weiterentwickelte „Stahl-Strategie 2030+“.

Was ist dran an den Gerüchten über Gespräche mit möglichen Partnern?

Merz: Der Energiekostenanteil in der Stahlproduktion ist drastisch gestiegen und wird auch künftig hoch sein. Eine selbstständige Stahlsparte könnte Partnerschaften eingehen – und so womöglich sicheren Zugang zu sehr wettbewerbsfähigen Energiekosten erhalten. Das ist für den Stahl und für mögliche Partner von Interesse und damit auch für uns.

Als eigenständige Firma kann der Stahl flexibler agieren als in einem komplexen Unternehmensgeflecht. Deshalb schauen wir uns gemeinsam mit dem Stahl sehr gründlich an, welche potenziellen Partnerschaften sich für den Stahl ergeben können – auch über Sektorgrenzen hinweg. Entscheidend für uns ist jedenfalls, dass eine Verselbstständigung eine langfristig tragfähige und gute Zukunftsperspektive für Steel Europe und seine Mitarbeitenden bietet.

Wir arbeiten daran, im Mai die eine oder andere konkrete Richtungsentscheidung empfehlen zu können. Überall dort, wo wir mit möglichen Partnern sprechen, liegt es aber in der Natur der Sache, dass wir das nicht allein in der Hand haben.

Martina Merz
CEO thyssenkrupp AG

Herr Professor Russwurm, wie bewertet der Aufsichtsrat denn die bisherigen Fortschritte der Transformation?

Russwurm: Man kann sich im Rückblick immer wünschen, dass alles schneller gegangen wäre. Sind wir zufrieden? Nein. Das haben wir auf der Hauptversammlung gerade im Februar ja auch bereits gesagt und das hat auch der Vorstand selbstkritisch genauso gesehen. Aber das Umfeld muss eben auch passen. Beispiel: Wenn im letzten Jahr – bei den Turbulenzen an den Kapitalmärkten – ein Börsengang von nucera schiefgegangen wäre, hätten wir dafür zu Recht harte Kritik einstecken müssen. Jetzt wird kritisiert, dass der IPO nicht längst passiert ist. So ist die Welt. Sie können’s nie allen Recht machen. Aber jetzt geht es um den Blick nach vorne und jetzt ist, wie gesagt, das Umfeld stabiler. Da gilt es, Fahrt aufzunehmen. Und das ist auch unsere Erwartungshaltung.

…das heißt, dass in der Sitzung des Aufsichtsrats im Mai konkrete Beschlüsse zu erwarten sind?

Russwurm: Dafür liegt die Initiative beim Vorstand. Uns als Aufsichtsrat ist zweierlei wichtig. Auf das eine hat Frau Merz im Rahmen der Hauptversammlung bereits völlig zu Recht hingewiesen: Das Unternehmen lässt sich nicht zu zweitbesten Lösungen treiben. Das andere ist: Das Unternehmen muss vorankommen. Auch da sind sich Aufsichtsrat und Vorstand einig.

…dann geht die Frage an Sie, Frau Merz…

Merz: Wir arbeiten daran, im Mai die eine oder andere konkrete Richtungsentscheidung empfehlen zu können. Überall dort, wo wir mit möglichen Partnern sprechen, liegt es aber in der Natur der Sache, dass wir das nicht allein in der Hand haben. Uns ist klar, dass diese Phase des Transformationsprozesses, die wir aktuell durchlaufen, auch für unsere Mitarbeitenden eine besondere Herausforderung ist. Ich kann versichern, dass wir die unterschiedlichen Prozesse mit Nachdruck vorantreiben, um bei den großen strategischen Initiativen so schnell wie möglich für Klarheit zu sorgen.

Herr Professor Russwurm, klingt das gut für Sie?

Russwurm: Ja. Es muss auch jedem klar sein, dass nicht alle erforderlichen Klärungen auf Knopfdruck abrufbar sind und dann von jetzt auf gleich auch schon umgesetzt sein können. Aber konkrete Fortschritte und Klärungen, wie es dann auch in Richtung Umsetzung weitergehen kann, das muss unser gemeinsamer Anspruch sein. Auf dem Weg dorthin lassen wir uns aber nicht von ungeduldigem Getöse im Umfeld irritieren.

Lieber Herr Professor Russwurm, liebe Frau Merz, vielen Dank für das Gespräch und die Einordnung.

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