Welche Bedeutung hat die grüne Transformation für Sie persönlich?

„Die Grüne Transformation von thyssenkrupp ist für mich mehr als nur ein Job - es ist eine Herzensangelegenheit: Klimaschutz, Nachhaltigkeit und die Verantwortung für kommende Generationen sind für mich von großer Bedeutung. Und ich bin mir sicher, da spreche ich nicht nur für mich, sondern für sehr viele Menschen bei thyssenkrupp.

Europa, Deutschland und speziell auch das Ruhrgebiet sind Keimzellen der Industrialisierung und haben in Hinblick auf die Grüne Transformation einen besonderen Stellenwert. Indem wir bei uns früh auf die klimafreundliche Industrie setzen, schaffen wir Chancen und Wettbewerbsvorteile für unsere Unternehmensgruppe und unsere Region.

Ich bin davon überzeugt, dass diejenigen Unternehmen, die es zuerst schaffen, nachhaltig und profitabel zu wirtschaften, den Ton angeben werden. Das sichert und schafft Arbeitsplätze für die Zukunft.

Wir sind schon heute ein „transformation enabler“, also ein Befähiger, um die Grüne Transformation durch eigene Innovationen entscheidend mitzugestalten. Klimafreundliche Technologien und CO2-neutrale Produkte, die von thyssenkrupp erdacht und erprobt wurden, werden schon jetzt in die ganze Welt geliefert. Wir können also mit gesundem Selbstbewusstsein den Anspruch erheben, Teil der Lösung für das Gesamtsystem der Grünen Transformation zu sein. Denn wir haben mit unserer Technologie- und Innovations-Kompetenz die richtigen Fähigkeiten dafür. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Kunden!

thyssenkrupp in diesen spannenden Wandel und gleichzeitig durch herausfordernde Zeiten zu führen, ist eine Ehre für mich!“

Welches sind aus der CEO-Perspektive die 5 schwierigsten Herausforderungen bei der grünen Transformation?

„Alle hier im Detail zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Ich nenne ihnen deshalb die aus meine Sicht entscheidende Herausforderung: Die Grüne Transformation kann niemand alleine bewältigen. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, deren Erfolg an die Erfolge und Maßnahmen von uns allen geknüpft ist – national und international. Bei einer solchen komplexen Aufgabe reicht es also nicht aus, wenn jeder nur versucht, sich selbst zu optimieren. 

Natürlich müssen wir alle unsere Hausaufgaben machen: Auch wir bei thyssenkrupp sind auf gutem Weg, mit unseren Lösungen einen signifikanten Beitrag zur Grünen Transformation zu leisten. Aber in Summe sind die Herausforderungen schlichtweg zu groß, um diese alle im Alleingang zu lösen.

Ein Beispiel: Entscheidend ist aus meiner Sicht der schnelle Hochlauf der Wasserstoffinfrastruktur. Dieser kann nur dann gelingen, wenn wir die Nachfrage-, Angebot- und Infrastrukturseite sektoren- und länderübergreifend synchronisieren. Dafür brauchen wir eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft, um den notwendigen Aufbau der gesamten Infrastruktur zu optimieren und zu beschleunigen. Es gilt, neue Partnerschaften zu suchen. Ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen.“

Nur ein sehr kleiner Teil des tk-Geschäfts trägt zum Thema Green Transformation bei. Reicht das für eine überzeugende Positionierung der gesamten tk Gruppe? Die Gefahr des "green washing" ist offensichtlich.

„Das sehe ich anders: Wir haben an entscheidenden Stellen einen wirklichen Trumpf in der Hand, Wasserstoff: Dieser wird eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Welt spielen und ist einer der Energieträger der Zukunft. 

Ausreichende Mengen an Wasserstoff sind von zentraler Bedeutung für das Gelingen der Grünen Transformation und wir sind als Unternehmensgruppe schon heute an entscheidenden Punkten maßgeblich beteiligt. Wir bezeichnen das als Wasserstoff-Dreieck, also die Verbindung von Nachfrage, Angebot und Infrastruktur.

Nachfrage: Mit unseren Lösungen für eine grüne Stahlproduktion werden wir große Mengen Wasserstoff einsetzen, um einen erheblichen Beitrag zur Verringerung klimaschädlicher Emissionen zu leisten.

Angebot: Mit unserem Elektrolysegeschäft thyssenkrupp nucera bieten wir als einer von wenigen Anbietern weltweit schon heute Technologien zur Produktion von Wasserstoff im Gigamaßstab an.

Infrastruktur: Unsere Anlagenbauer von thyssenkrupp Uhde sind Experten für den Bau von Ammoniak- und Methanolanlagen – den Transportmedien für den Import von grünem Wasserstoff. Und mit unseren innovativen Großwälzlagern von thyssenkrupp rothe erde machen wir den Boom bei Windenergie überhaupt erst möglich.

Darüber hinaus haben wir weitere erfolgsversprechende Produkte-und Lösungen, die eine Grüne Transformation erst möglich machen: Denken Sie an unsere antriebsunabhängigen Komponenten im Automobilbau, an intelligente Lieferketten bei Materials Services oder Anlagen zur Produktion von CO2 reduziertem Zement von thyssenkrupp Polysius.

Die Grüne Transformation ist also eine Riesenchance für unsere Unternehmensgruppe und wir tragen als Befähiger der Transformation schon heute unseren Teil dazu bei.“

Haben wir die nötigen Skills in der Organisation, um die grüne Transformation zu stemmen?

„Davon bin ich fest überzeugt! Unsere technologische Kompetenz sowie unsere sehr talentierten und erfahrenen Mitarbeitenden spielen hier eine zentrale Rolle. Das macht den Unterschied und verschafft uns Vorteile, die wir nutzen müssen. Um unsere ambitionierten Ziele zu verdeutlichen und auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen, haben wir unsere Klimaziele im Jahr 2019 durch die renommierte „Science Based Target initiative“, kurz SBTi, validieren lassen. Damit sind unsere Ziele von unabhängiger Seite als realistisch anerkannt – natürlich bezogen auf die Geschäfte, in denen wir unterwegs sind.

Aber unser Engagement geht natürlich noch weiter. Ziel muss es sein, den CO2-Fußabdruck gesamter Wertschöpfungsketten massiv zu reduzieren. Dies geht natürlich zunächst über die Reduktion unserer eigenen Emissionen, aber auch bei denen unserer Lieferanten und Kunden. Das alles funktioniert aber nur im Netzwerk und mit Anstrengungen aller Beteiligten, Lieferanten, Kunden, Gesellschaft, Politik und natürlich mit unseren Mitarbeitenden.

Unser Engagement der letzten Jahre wird übrigens regelmäßig in verschiedenen Nachhaltigkeitsratings gewürdigt. So stehen wir bereits zum sechsten Mal in Folge auf der „Climate A-List“ beim renommierten Rating des „Carbon Disclosure Projects“, CDP. Das haben vergangenes Jahr in Deutschland nur 12 Unternehmen geschafft.“

Wie weit ist die Umsetzung zum Thema "Grüner Stahl" vorangeschritten?

"Die Zukunft des Stahls ist grün, das ist klar. Was auch klar ist: thyssenkrupp hat hierbei eine Schlüsselrolle inne. Wir wollen bis spätestens 2045 in unserem Duisburger Stahlwerk klimaneutral produzieren. Das ist sicher ehrgeizig, aber ich bin überzeugt davon, dass wir das schaffen. Was mich sehr freut ist, dass wir dafür in der vergangenen Woche einen wichtigen Meilenstein erreicht haben: Die Entscheidung, die größte deutsche Direktreduktionsanlage für CO2-armen Stahl am Standort in Duisburg zu bauen. Das ist ein klares Bekenntnis für den grünen Stahl – und das mitten im Umbau unseres Unternehmens und trotz des sehr herausfordernden Umfelds, in dem wir uns derzeit bewegen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass Duisburg beste Voraussetzungen hat, der führende europäische Standort für grünen Stahl zu werden. Das ist auch eine große Chance für die Region.

Wir blicken aber nicht nur nach vorne, sondern sind schon heute aktiv: Vor etwa einem Jahr haben wir mit bluemint® Stähle mit einer um bis zu 70% niedrigeren CO2-Intensität auf den Markt gebracht. Schon heute ordern immer mehr Kunden diese CO2-reduzierten Produkte. Zusätzlich haben wir ein innovatives Verfahren zur Verwertung von hochwertigem Schrott im Hochofen eingeführt. Das stärkt die Kreislaufwirtschaft und reduziert den Verbrauch von kohlenstoffhaltigen Reduktionsmitteln.

Langfristig sehe ich thyssenkrupp also sehr gut aufgestellt, weil wir einen überzeugenden technologischen Weg verfolgen."

Wenn Nachhaltigkeit so hoch priorisiert wird, warum gibt es keine eigene Nachhaltigkeitsabteilung in der AG bzw. in den Segmenten?

"Es ist absolut richtig, dass wir Nachhaltigkeit sehr hoch priorisieren. Denn sie ist fester Bestandteil unserer Unternehmensstrategie: Wir bieten weltweit innovative Produkte, Technologien und Dienstleistungen, die zum nachhaltigen Erfolg unserer Kunden beitragen. Wir wollen „transformation enabler“ sein, also einer der Befähiger unserer Kunden, damit die grüne Transformation gelingen kann.

Ich denke aber auch, dass Nachhaltigkeit eine interdisziplinäre Aufgabe ist, an der viele Funktionen beteiligt sind. Strategie, Kommunikation, Personal, Controlling, Einkauf, Investor Relations – allen kommt eine wichtige Rolle dabei zu, wenn es darum geht, ein Unternehmen nachhaltig aufzustellen. Daher bin ich kein Freund davon, die Vielzahl an Aufgaben in einer integrierten Abteilung zu bündeln.

Was aber durchaus sinnvoll ist: Die Nachhaltigkeitsaktivitäten in der Unternehmensgruppe zu steuern und weiterzuentwickeln. Dafür haben wir ein Sustainability Committee gegründet, das sich aus dem Vorstand unserer Gruppe, den Vorstandsvorsitzenden der Segmente und den Leitern der Corporate Center zusammensetzt. Dieses Gremium trifft wesentliche Entscheidungen unserer Nachhaltigkeitsstrategie und legt Ziele fest."

Wie hoch priorisieren Sie Nachhaltigkeit für unser Geschäft und wie spiegelt sich das in Investitionen für diesen Bereich wider?

"Die grüne Transformation ist eine Riesenchance für unsere Unternehmensgruppe. Schauen Sie sich die Wachstumsmärkte der Zukunft an: Das ist vor allem Wasserstoff, das sind erneuerbare Energien, das ist E-Mobilität. Dabei wollen wir einen wesentlichen und schnellen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten und gleichzeitig eine leistungsfähige Industrieregion hier in Europa, in Deutschland erhalten.

Denn es geht uns nicht nur darum, selbst klimaneutral zu werden. Wir gehen einen Schritt weiter und erheben den Anspruch, Teil der Lösung für das Gesamtsystem zu sein.

Was die konkreten Investitionen angeht: Eine Unternehmensgruppe kennzeichnet, dass jedes Segment für sein Geschäftsmodell verantwortlich ist. Wo sich welche Investitionen lohnen, das sind zunächst einmal unternehmerische Entscheidungen, die unsere Geschäfte treffen. Aber es ist klar, dass Nachhaltigkeit nicht nur aufgrund der stark zunehmenden Anforderungen unserer Kunden eine sehr hohe Bedeutung hat. Alle Stakeholder, beispielsweise auch der Kapitalmarkt, stufen Nachhaltigkeit als äußerst wichtig ein.

Ich blicke da sehr optimistisch nach vorne, denn wir haben bereits heute sehr vielversprechende, nachhaltige Lösungen im Portfolio."

 

Welche grünen Potenziale sehen Sie neben Wasserstoff und der Stahl-Umstellung in den einzelnen Segmenten?

"Beispielsweise bei den erneuerbaren Energien. Der Anteil von Windkraft am Energiemix ist in den letzten Jahren spürbar gewachsen. Dafür braucht es immer größere und leistungsfähigere Windenergieanlagen. Bei Bearings produzieren wir Komponenten genau dafür. Wir haben in Zusammenarbeit mit einem Großkunden Blatt- und Rotorlager für die weltweit größte Windturbine in Østerild in Dänemark entwickelt und geliefert. Eine Turbine mit einer Leistung von 14 Megawatt. Das deckt den Strombedarf von 18.000 Durchschnittshaushalten. Wir liefern also die größten in Serie gefertigten Rotorlager der Welt.

Ein weiteres Beispiel: Unsere Anlagenbauer bei thyssenkrupp Uhde sind Experten für den Bau von Ammoniak- und Methanolanlagen – also für die zukünftigen Transportmedien zum Import von grünem Wasserstoff. Diese Anlagen sind darüber hinaus der Ausgangspunkt für wichtige Prozesse der chemischen Industrie und damit Basis für die grüne Transformation dieser Branche.

Oder schauen wir auf Automotive Technology: Nachhaltige Mobilität und effizientere sowie alternative Antriebe sind die Zukunft. Wir sind bereits heute mit unserem Automobilgeschäft sehr gut auf die Transformation der gesamten Branche eingestellt. Denn wir erwirtschaften 80% unseres Umsatzes mit Produkten, die unabhängig von der Antriebsart sind. Wir können alle Modellplattformen bedienen – hocheffiziente Verbrenner, Hybrid- und Elektromotoren. Zugleich freuen wir uns über eine stetig wachsende Anzahl von Aufträgen für E-Fahrzeuge und bauen unser Produkt- und Serviceangebot in diese Richtung weiter aus. Da hilft uns sogar unser Knowhow aus der Fertigung von Komponenten für Verbrenner- und Hybridmotoren. Zum Beispiel bei den Rotorwellen für E-Antriebe. Die stellen wir in sehr ähnlichen Fertigungsprozessen und zum Teil sogar auf den gleichen Anlagen her.

Also: wir haben ein enormes Potenzial und müssen die Chancen daraus nutzen."

Wo steht MX für Sie bei der grünen Transformation?

„Ein tolles Beispiel sind intelligent optimierte Lieferketten, die unseren Kunden Zeit und damit Ressourcen sparen. Materials Services hat erst vor Kurzem einen Product Carbon Footprint Rechner vorgestellt, der den individuellen CO2-Fußabdruck eines Produktes berechnen kann. Von der Produktion, Logistik und Anarbeitung bis hin zum Endprodukt: Ziel ist es, dass jeder Kunde künftig die Daten seiner Lieferkette dargestellt und dadurch den CO2-Fußabdruck jedes Produkts genau bestimmen kann. Das ist für uns ein wichtiger Schritt, um unseren Kunden mehr Transparenz zu bieten.

Darüber hinaus hat MX ein Nachhaltigkeitsprogramm aufgelegt, das sich an den ESG-Kriterien orientiert, aber darüber hinaus geht. Das ist sicherlich ambitioniert – aber machbar. Ab 2030 will MX dann klimaneutral arbeiten. Das ist, wie ich finde, ein sehr wertvoller Beitrag zur grünen Transformation bei thyssenkrupp.“

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